Wie ich aus meiner eigenen Prüfung hinausflog
Das Ende des Wintersemesters in Bonn fiel genau in den Zeitraum des chinesischen Neujahrsfestes. Daher waren wir eigentlich alle in Feierlaune, doch ich hatte noch fünf Kurse abzuschließen und vor allem stand mir noch eine Prüfung bevor – die letzte des Masterprogrammes und ironischerweise in einem Wahlfach, das streng genommen nicht viel mit meinem Studiengang „Übersetzung“ gemein hat.
Dass ich meine seelische Achterbahnfahrt durch diesen Kurs trotzdem schildern möchte, liegt an der Persönlichkeitsspaltung, die ich diesem verdanke: In ein „Kurs-Ich“ und ein „Prüfungs-Ich“. Und dann noch die Sache mit dem Rausschmiss aus dem Zoom-Raum, aber dazu später.
Bei fast allen Programmen, die ich an der Universität Bonn kennenlernte, handelte es sich um sogenannte modulare Studiengänge. Diese Module teilt man in Pflicht- und Wahlpflichtmodule ein und sie bestehen jeweils aus einem oder zwei Kursen, z.B. Seminaren oder Vorlesungen. Eines der von mir belegten Module nannte sich „Aspekte der Sprachverwendung”, anscheinend hat man es speziell für chinesische Doppelmasterstudierende eingerichtet (siehe Abbildung).
Die meisten Teilnehmenden kamen aus der germanistischen Literatur- oder Sprachwissenschaft und hatten wohl schon im ersten und zweiten Semester ähnliche Lehrveranstaltungen besucht. Jedenfalls kannten sie sich schon recht gut aus, während wir fünf absoluten Anfänger ratlos unter ihnen saßen und große Augen machten.
Das Modul “Produktivität in der Wortbildung”
Konkret bestand dieses Modul aus einem Seminar zum Thema “Produktivität in der Wortbildung” und der Lektürevorlesung “Zweifelsfälle des Deutschen”. Für die Prüfungen musste man zwischen beiden Lehrveranstaltungen wählen und dann entweder eine Seminararbeit schreiben oder eine mündliche Prüfung ablegen. Mir war klar, dass ich eigentlich fachlich ziemlich unbedarft war, außerdem hatte ich während des Semesters nicht gerade durch übermäßige Mitarbeit geglänzt, dafür war ich viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, den lebhaften Seminardiskussionen zwischen Dozenten und Kommilitonen zu folgen.
Leider vergeblich – trotz bester Vorsätze musste ich mir nämlich bald eingestehen, dass ich in puncto Hörverstehen hier nie auf einen grünen Zweig kommen würde, der Ehrgeiz verließ mich irgendwann und ich fügte mich meinem Schicksal… Keine Frage also, dass ich mich für die mündliche Prüfung zur Vorlesung “Zweifelsfälle des Deutschen” entscheiden würde – das war nicht nur interessanter und konkreter, sondern klang auch einfacher.
Um allerdings in Deutschland an Prüfungen teilnehmen zu können, muss man sich vorher unbedingt per E-Mail anmelden und bei dieser Gelegenheit das vom Dozenten geforderte prüfungsrelevante Material einreichen. Dies sind zum Beispiel eine Themenliste für das Prüfungsgespräch oder verwendete Vorbereitungsliteratur.
Ein besonderer Hinweis an dieser Stelle: Achtet unbedingt darauf, dass die Anmeldung innerhalb der angegebenen Anmeldefrist persönlich per E-Mail erfolgt und vor allem auch bestätigt wird. Üblicherweise verschickt der zuständige Dozent oder die Dozentin nach erfolgreicher Anmeldung ein Bestätigungsschreiben mit Angaben zu Prüfungszeit und -ort; im Falle von online-Kursen enthält das Schreiben in der Regel einen Link zum ZOOM-Meetingraum sowie das zugehörige Passwort.
In meinen Fall jedoch lief einiges schief: Als der Dozent mir meine Anmeldung bestätigte, erfuhr ich so nebenbei, dass die Prüfung bereits in zwei Tagen stattfinden solle. Ich traute meinen Augen nicht – hatte mich da etwa hinter meinem Rücken schon jemand angemeldet? Eigentlich hätten wir das Prüfungsmaterial nämlich spätestens sieben Tage vor dem Prüfungstermin hochladen sollen. Panik überkam mich und ich bat eilig um eine Rückbestätigung. Glücklicherweise – denn so erfuhr ich, dass meinen Mitstudentinnen und -studenten Dasselbe widerfahren war. Anscheinend hatte man die Austauschstudierenden stellvertretend durch eine dritte Person angemeldet und dann vergessen, ihnen die Termine individuell getrennt zu bestätigen. Hätte ich mich nicht persönlich per E-Mail eingetragen, dann wäre mir womöglich meine eigene Prüfung entgangen…
Während der online-Phasen solltet ihr also die Anmeldung unbedingt selbst vornehmen und Euch jeden einzelnen Schritt bestätigen lassen!
Was den Ablauf und die Anforderungen der Prüfung betrifft, so gibt euch der jeweilige Dozent oder die Dozentin vor Kursende über die Lernplattform rechtzeitig Bescheid. In meinem Fall handelte es sich um eine Gesamtprüfungsdauer von 20-30 Minuten, inklusive eines 5-10 minütigen Kurzreferates und eines anschließenden Frageteils.
Ein paar Worte zu meiner seelischen Verfassung vor der mündlichen Prüfung:
Da ich bereits unter dem Semester enorme Schwierigkeiten gehabt hatte, dem Stoff auch nur annähernd zu folgen und es zudem aus den verschiedensten Gründen versäumt hatte, meine Hausaufgaben einzureichen, rechnete ich mir keine großen Chancen aus, die Prüfung in Anstand und Würde hinter mich zu bringen.
Die Prüfung
Deprimiert loggte ich mich also zum angegebenen Zeitpunkt in den Zoom-Prüfungsraum ein. Auf dem Bildschirm erschienen Prüfer und Protokollantin, die mich bereits erwarteten und zwar höflich aber auch sehr zurückhaltend begrüßten. Letzteres wunderte mich eigentlich nicht, da dies das erste Mal überhaupt war, dass ich meine Kamera während des Kurses eingeschaltet hatte. Einige Formalitäten wurden ausgetauscht und ich legte gleich mit meinem Referat zum Thema „Trennbarkeit von Fremdwörtern“ (Ich downloade etwas oder ich loade etwas down) los. Während ich mein vorbereitetes Manuskript herunterratterte, bemerkte ich, wie die Miene des Prüfers sich langsam versteinerte – Mist, dachte ich mir, die Sache läuft in die falsche Richtung! Ich zog die Notbremse – am besten gleich in den Frageteil einsteigen.
Doch genau in dem Moment als der Dozent zur Beurteilung meines Referats ansetzte und damit zu den Fragen übergehen wollte, brach bei mir die Verbindung zusammen. Auch das noch! Mit roten Ohren gelang es mir zum Glück, mich irgendwie in den Meetingraum zurückzukämpfen. Ich versuchte, dem Prüfer meine Probleme mit der Internetverbindung zu erklären und bat schließlich um Wiederholung der soeben gestellten Frage. Zusätzlich versuchte ich, die peinliche Situation mit einem Lächeln zu entschärfen, doch mit dem, was dann kam, hatte ich wirklich nicht gerechnet.
Eine überraschende Wendung
Der Prüfer meinte es nämlich offenbar gut mit mir: Jede einzelne seiner Fragen bezog sich direkt auf mein Referat: Unter welche der in der Vorlesung behandelten Fälle würden Sie dieses oder jenes Beispiel einordnen? Phonetisch? Lexikalisch? Syntaktisch? Wie beurteilen Sie die Endung “-ed” in downgeloaded? Wie werden sich diese Lexeme in den kommenden 50 Jahren voraussichtlich verändern? Welche Ausdrücke werden wohl in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen? Welche Ratschläge haben Sie für Deutschlerner? Wie erklären Sie sich diese Zweifelsfälle?
Inzwischen war ich in Fahrt gekommen und hatte mein Manuskript längst zur Seite gelegt. Ich spürte, wie meinem Geist mit jedem frei gesprochenen Wort förmlich Flügel wuchsen. Das heftige Nicken des Prüfers nach meiner ersten Antwort hatte meine Kühnheit geweckt: Immer wagemutiger verfocht ich meine eigenen Standpunkte und statt weiter zu versteinern wurde der Prüfer mehrfach von Lachanfällen geschüttelt – selbst die unterkühlte Protokollantin konnte sich das eine oder andere Schmunzeln nicht verbeißen. Bis heute rätsle ich, worüber sich die beiden eigentlich so amüsierten. Möglich, dass die frische Perspektive einer chinesischen Deutschstudentin auf abgestandene Fragen einen gewissen Reiz auf den Dozenten ausübte: Im Grunde hatte ich simple Ansichten argumentationstechnisch „aufgemotzt“.
Aber um nun auf die Eingangsfrage zurückzukommen. Zur Schilderung meines „Rausschmisses“ gebe ich am besten unseren damaligen Dialog wieder:
Dozent: Die Prüfung ist beendet. Auf Wiedersehen, ich wünschen Ihnen weiterhin alles Gute!
Ich: Danke! Auf Wiedersehen.
(Die Webkamera läuft weiter, der Bildschirm bleibt geöffnet und Ich wundere mich, weshalb der Dozent die Sitzung nicht beendet.)
Schließlich frage ich: Ähm, soll ich das Meeting jetzt verlassen?
Dozent (lacht): Klar, das ist ja schließlich mein Meetingraum!
So versank mein kichernder Professor hinter dem sich verdunkelnden Bildschirm – Ende der mündlichen Prüfung.
Schlusswort
Lasse ich die ganze Geschichte heute Revue passieren, dann frage ich mich, wie das alles gut gehen konnte: Im Unterricht war ich ein Totalausfall, meine Hausaufgaben hatte ich nie abgegeben, dann kam das Chaos mit dem Prüfungstermin und meine PowerPoint-Präsentation war nicht termingerecht fertig geworden – und schließlich stockte während der Prüfung auch noch die Internetverbindung und fiel schließlich sogar völlig aus.
Dass eine mündliche Prüfung auch trotz solcher Widrigkeiten letztlich sehr erfolgreich verlaufen kann, führe ich auf die entscheidende Rolle des Auftretens während der Prüfung zurück: Es kommt am Ende darauf an, seinen eigenen Standpunkt freundlich aber bestimmt zu vertreten, ohne jedoch dabei stur auf seinen Ansichten zu beharren. An geeigneter Stelle sollte man auch Raum für Zweifel und weiterführende Überlegungen lassen, auf ungelöste Fragen hinweisen oder Spekulationen anstellen. Aber das A und O ist natürlich eine gründliche Vorbereitung: Nur, wer sich vor der Prüfung intensiv mit seiner Fachliteratur beschäftigt hat, ist während der Prüfung in der Lage, aus seinen Ideen stabile Argumentationsbrücken zu bauen.
Mit dieser letzten Prüfung endeten für mich die Masterkurse, doch es geht gleich Schlag auf Schlag weiter: Es stehen noch einige Seminararbeiten an und, als Krönung zum Schluss, dann die Masterarbeit. Jetzt heißt es daher, den Februar aus den Gliedern schütteln und frisch ans Werk: Winter Ade, der Frühling kann kommen!
Mehr über ZHANG Kexin
Zhang Kexin studiert an der Beijing Foreign Studies University Deutsch als Fremdsprache und sollte im Oktober dieses Jahres an einem einjährigen Austauschprogramm der Universität Bonn teilnehmen. Ihre Reise wurde wegen der Epidemie jedoch verschoben.