Deutsche Literatur singend vermitteln - Nach zweieinhalb Jahren wieder ein Deutschlektor an der Qingdao-Universität
Der Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 hat vieles durcheinander gewirbelt. So auch das Leben an den chinesischen Hochschulen, die lange Zeit „Hochsicherheitszonen“ glichen. Ausländische Lehrkräfte hatten es schwer, an die Lehranstalten zurückzukehren.
In Shandong dauerte es besonders lange. Seit Beginn dieses Studienjahres ist nun auch an der Germanistik der Qingdao Universität wieder ein DAAD-Lektor tätig. Live. Gut für die Studierenden. Gut aber auch für den kulturellen Austausch.
Eugen Zak, so heißt der 32-Jährige, der in Qingdao Studierenden vom ersten Bachelor-Jahrgang bis zum Master-Abschluss die deutsche Sprache nahebringt. Seine Studenten sind „eine gute, eine bunte Mischung aus fünf Jahrgängen“, sagt er.
Als wir das Gespräch führen, läuten in der ostchinesischen Hafenmetropole gerade wieder die „Corona-Alarmglocken“. Für Dozenten, die nicht auf dem Universitätsgelände wohnen, heißt das wieder einmal Online-Unterricht. Auch wir treffen uns nur virtuell. Per WeChat begegne ich einem jungen Mann, der mit all seinen Poren für seine Aufgabe zu brennen scheint. Die Augen strahlen. Es knistert förmlich. Begeisterung ist zu spüren. Sich vorzustellen, wie Eugen Zak seine „Studis“, wie er sie nennt, in den Bann zieht, fällt nicht schwer. Wie er ihren Elan anstachelt, Deutsch nicht nur als eine von vielen Fremdsprachen zu sehen, die der eine oder andere möglicherweise auch gewählt hat, weil die Latte für Germanistik bei den chinesischen Hochschulaufnahmeprüfungen etwas niedriger hängt als bei der Anglistik.
In Qingdao selbst dürfte allerdings auch noch ein anderer Grund vorliegen, warum sich so viele für ein Deutsch-Studium entscheiden: Die historische Verwobenheit mit der deutschen Geschichte. Ob dies wirklich ein Grund ist, vermag Eugen Zak nicht zu sagen, „dafür bin ich noch nicht lang genug hier“. Mit Sicherheit zutreffen dürfte jedoch: Deutsch wollen vor allem dort viele junge Menschen erlernen, wo ein starkes deutsches wirtschaftliches Engagement ist. „Deutsch ist so etwas wie ein Qualitätssiegel“, meint der junge Mann. Deutsche Unternehmen hätten einen guten Ruf. Deutsche Sprache als Sprungbrett zu einer vielversprechenden Karriere.
Von China schon früh in den Bann gezogen
Zu Beginn dieses Studienjahres ist Eugen Zak als DAAD-Lektor an die Qingdao-Universität gekommen. Zuvor hatte er schon bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie an der Dongbei-Universität in Shenyang einen Job im Rahmen eines Programms der Robert-Bosch-Stiftung. Später hat er nach einem Zwischenstopp in Deutschland an der Deutschen Schule in der Provinzhauptstadt von Liaoning Englisch und Musik unterrichtet. Seine Begeisterung für China geht aber auf das Jahr 2007 zurück, als er erstmals nach China kam. Mit einer Schüler-Big-Band ist er zwei Wochen durch Shanghai, Suzhou und Peking getourt. Die Aufbruchstimmung vor den Olympischen Sommerspielen 2008 habe ihn in den Bann gezogen, sagt er. „Die Art, wie in China Dinge angepackt werden.“ Wie schnell das Entwicklungstempo ist, konnte er bei dem kurzen zweiwöchigen Aufenthalt schon erahnen.
Das stehe ganz im Gegensatz zu der Schwerfälligkeit der deutschen und europäischen Bürokratie, meint er. Nach dem Studium hatte Eugen Zak als Trainee bei der EU-Kommission gearbeitet. Und wurde desillusioniert. Zu eng das Korsett, um kosmopolitische Projekte zu initiieren und umzusetzen. China, schien ihm, könne mehr Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Den Freiraum, seine Ideen umzusetzen, fand er bei der Bosch-Stiftung, deren Lektoren mehr als Sprachvermittler waren. Die Studierenden sollten in Projekte eingebunden werden und auf diese Weise nah am Leben Sprachkenntnisse erwerben und gleichzeitig dem Dialog zwischen Deutschen und Chinesen Impulse verleihen.
Eugen Zak lacht, als er erzählt, inzwischen auch familiär mit China verbunden zu sein und so „durch das Teilen des Alltags das Land noch viel tiefgründiger“ kennenlernen zu können. Auch wenn es derzeit eine Fernbeziehung ist. Seine große Liebe lebt in Shenyang.
Musik als Brücke zur Sprache
Kurz vor unserem allerersten Zusammentreffen ließ mich Eugen Zak wissen, dass er Opern-Sänger sei. Verwirrung. Wie kommt ein Opern-Sänger dazu, an der Qingdao-Universität Deutsch und deutsche Literatur zu lehren? „Neben dem Studium des klassischen Gesangs habe ich auch einen Lehramtsabschluss für die gymnasiale Stufe. In Englisch und Musik“, erklärt er. Vom Lehramt für Englisch sei es zu DaF, Deutsch als Fremdsprache, nicht mehr weit. Ruth Schimanowski, die Repräsentantin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD in Peking, begeistert diese Kombination. Die Lektoren sollten ja „Botschafter der deutschen Kultur“ sein. Das ist mehr als reiner Sprachunterricht. Als solch einen Kultur-Botschafter sieht sich auch Eugen Zak. „Brückenbauer“ nennt er es. Ihm geht es darum, Fundamente bestehender Brücken zu festigen und neue Brücken aufzubauen. Musik sieht er als wichtiges Verbindungsglied. Deutsche Klassik könne helfen, deutsche Geschichte und Literatur auf eine andere Weise zu verstehen. Sprache mehrdimensional zu vermitteln, ist sein Ansatz. Klassische Lyrik könne verständlicher werden, wenn sie nicht nur gelesen, sondern auch in Schumann-Vertonung gehört werde. „Moll und Dur geben einen ganz anderen Zugang zu den unterschiedlichen Stimmungen.“
Dem Elan des jungen Mannes scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Mit den Studenten hat er einen Chor gegründet. Wöchentlich proben sie deutsche Volkslieder. Ursprünglich war die Idee, die deutsche Botschafterin bei ihrem im Oktober geplanten Besuch musikalisch zu begrüßen. Der Besuch ist Corona zum Opfer gefallen. Aufgeschoben, nicht aufgehoben.
„In der Literaturwissenschaft lässt sich ganz wunderbar eine Brücke zur Musik schlagen. Viele Gedichte und auch Passagen aus Prosawerken sind vertont. Die Musikkomponente erlaubt es den Studenten einen tieferen Zugang zur deutschen Literatur zu bekommen, tiefer, als wenn ich die Gedichte nur theoretische analysieren würde. Das sehe ich sehr deutlich an den Gesichtern der Studierenden. Dur und Moll. Die unterschiedlichen Stimmungen machen die Sprache aus einem anderen Jahrhundert verständlicher.“
Der Chor besteht weiter. „Den Studis habe ich gesagt: Ihr müsst nicht weitermachen, nur weil Euer Lehrer das will“, erzählt Eugen Zak, um dann mit leuchtenden Augen zu ergänzen, keiner „seiner“ Sänger sei abgesprungen. „Sie finden es ‚cool‘, deutsche Volkslieder mehrstimmig zu singen. “Etwas Besseres kann sich die Germanistik an der Qingdao-Universität nicht wünschen, als einen jungen Dozenten, der nicht nur stur sein Programm abwickelt, sondern mit Begeisterung und ausgefallenen Ideen die Deutsch-Studierenden zu Höchstleistungen antreibt.
Peter Tichauer, Chefredakteur von ChinaInsight