Ein Land, viele Perspektiven. Buchbesprechung zu „China durchDenken“
Diese feine Kompilation anregender Beiträge zeigt eindrucksvoll, wie in den chinesisch-deutschen Beziehungen Denkräume erschlossen und dadurch Handlungsoptionen eröffnet werden können. Inhaltlich tiefblickend und persönlich informiert wurde es umsichtigem Auges von Thomas Willems und seinen beiden Mitherausgebern Ralf Glitza und Michael Schüller ediert. Insbesondere Thomas Willems hat die DAAD-Arbeit in China in den letzten Jahren aktiv mitgestaltet. Er war bereits 2005 DAAD-Lektor in Qingdao und anschliessend an der Fudan-Universität. 2008 bis 2014 hat Thomas Willems das DAAD-Informationszentrum in Shanghai geleitet und war bis jüngst Vizedirektor des Chinesisch-Deutschen Hochschulkollegs an der Tongji-Universität.
Die drei einleitenden Beiträge der Herausgeber legen dabei ein solides Fundament für die folgenden Einzelbeobachtungen. Die große Stärke dieser Grundlagentexte liegt in ihrer Loslösung von strukturellen Zwängen streng-wissenschaftlicher Publikationsmodi, die eine persönliche Perspektive und argumentative Zuspitzung erlauben. Eben dadurch gelingt aus den Perspektiven der Kulturhermeneutik, der Kommunikationstheorie und der Semiotik ein einladender und motivierender Einstieg in die Lektüre.
Im zweiten Teil blicken die Beiträge auf die historische Dimension deutsch-chinesischer Beziehungen. Eine Postkarte aus Qingdao als Diskursphänomen initiiert hier Diskussionen über die komplexen und niemals zu vereindeutigenden Verflechtungen der beiden Länder, die sich über politische, religiöse und literarische Dimensionen erstrecken und wohl nicht konfrontativ, sondern eher über einen „schrägen“ (Jullien) Zugang angegangen und verstanden werden können.
Den inhaltlich heterogenen Teil Drei eint der produktionsästhetische Nenner der persönlichen Involviertheit. Die Autoren des Triptychons sind selbst entweder führende Forscher oder aktive Treiber der jeweiligen Bereiche chinesisches Recht, chinesische Medizintechnik oder chinesisch-deutscher Religionsdialog. In mitnehmender und nachhaltig beeindruckender Weise macht dies Pfarrer Michael Bauers Beitrag deutlich, der aus erster Hand die dornigen Chancen der Deutschsprachigen Christlichen Gemeinde in Shanghai beleuchtet.
Gleichsam kommuniziert der abschließende Teil bereits auf modaler Ebene, dass wir in nicht einfachen Zeiten leben. Denn der einleitende Beitrag zu globalen Beobachtungen aus dem Bereich wirtschaftlicher Praxis in China erscheint anonym unter dem Platzhalter nomen nominandum. Das prädikative Gerundiv nominandum darf hier mit hermeneutischer Lizenz als Markierung eines Desiderats, einer Aufforderung gelesen werden, dass Sachverhalte noch unklar, unbestimmt und unsicher sind und daher erst noch ihrer „Benennung“ harren. Entsprechend weisen die folgenden beiden Aufsätze strukturelle und inhaltliche Orientierung, innerhalb welcher Optionsräume eine solche Findung gemeinsamer Nenner im Bereich Fremdsprachenerwerb speziell und Chinakompetenz generell gefunden werden können.
Viel mehr also ein weiterer interdisziplinärer Aufsatzband zum zur Phrase gewordenen Triptychon Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft, sondern ein Büchlein, das mit seinen gehaltvollen Auseinandersetzungen hoffentlich auf dem Schreibtisch von Neulingen und Erfahrenen innerhalb der chinesisch-deutschen Beziehungen landet.
Glitza, R./Schüller, R./ Willems, Th.: China durchDenken. Perspektiven auf den deutsch-chinesischen Austausch in Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft. edition cathay 82. Bochum 2022.
Stephan Renker (17.03.2023)