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Junger „Brückenbauer“ im Rechtsbereich: Ein Interview mit Balduin Benesch

Das Chinesisch-Deutsche Institut für Rechtswissenschaften (CDIR) an der Chinesischen Universität für Politik- und Rechtswissenschaft (CUPL) in Peking ist ein gemeinsames Projekt der CUPL und sieben deutschen Kooperationsuniversitäten: die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Universität Hamburg, die Universität zu Köln sowie seit 2014 die Westfälische Wilhelms-Universität Münster und die Humboldt-Universität zu Berlin. Im Rahmen des Projekts “Deutsches Recht in Asien” wird es vom DAAD gefördert.

Innerhalb des Master-LL.M.-Programms am CDIR werden die Studierenden an der CUPL zwei Jahre lang sprachlich und fachlich ausgebildet, um danach die Chance zu erhalten an einer der 7 deutschen Kooperationsuniversitäten den Doppelmastergrad LL.M. erwerben zu können. Das seit 2004 bestehende Kooperationsprogramm hat eine Vielzahl an chinesischen Hochschullehrern sowie national und international tätigen Rechtspraktikern hervorgebracht. Ziele des Instituts sind die Verbreitung fundierter Kenntnisse des deutschen und europäischen Rechts in China, die Ausbildung von chinesischen und deutschen qualifizierten juristischen Nachwuchskräften, die rechtswissenschaftliche Forschung sowie die Unterstützung der Entwicklung des chinesischen Rechtssystems durch bilaterale rechtliche Zusammenarbeit und die Festigung der deutschen Rechtstradition in China.

Herr Balduin Benesch ist hier zwar erst seit Februar 2024 als DAAD-Langzeitdozent und Vizedirektor tätig, seine Verbindung zu China reicht jedoch schon weit länger zurück. Erstmals bereiste er 2012 das Land, später brachten ihn Studien an der Tongji-Universität in Shanghai und der Peking-Universität zurück ins Land. Auch für den DAAD ist Herr Benesch kein „unbeschriebens Blatt“, war er doch Teil des 26. Jahrgangs des renommierten „Sprache und Praxis“-Programms. Nun ist er also erneut vor Ort in Peking, um einen Beitrag zur deutsch-chinesischen Zusammenarbeit im Rechtsbereich zu leisten. Grund genug, diesen „Brückenbauer“ einmal persönlich nach seiner Motivation und seinen Zielen zu fragen!

  • Herr Benesch, fangen wir an, mit einer Frage, die wahrscheinlich jeder gestellt bekommt, der häufiger in China ist: Woher stammt Ihre Faszination für dieses Land?

Mich fasziniert, wie China Gegensätze vereint, die in Deutschland oft als unvereinbar gelten. Trotz der unverkennbar eigenen Identität begegnen die Menschen hier Ausländern in der Regel offen und neugierig. Die Kultur ist tief in der Geschichte verwurzelt, gleichzeitig aber aufgeschlossen für Innovation und Veränderung. Der Nationalstolz ist sehr groß, wird jedoch durch die Einsicht ergänzt, dass man von anderen Ländern lernen will. Viele Menschen sind aufgrund der vergangenen Ein-Kind-Politik im Mittelpunkt der familiären Aufmerksamkeit aufgewachsen und müssen sich aber im gesellschaftlichen Leben in einem vernetzten Umfeld, das stark auf Gemeinschaft setzt, einfinden. In diesem Spannungsverhältnis entwickeln viele Chinesen eine tiefverankerte Kollegialität füreinander.

Insgesamt ist das Leben in den Großstädten Chinas unheimlich dynamisch und von großen Transitionen geprägt. Für den Umgang mit Veränderungen ist bekanntermaßen die innere Einstellung ausschlaggebend und diese wird bei den Bewohnern Chinas oft auf die Probe gestellt. Beispielhaft war heute Morgen der Eingang meines Wohnhauses plötzlich und unangekündigt eine einzige Baustelle. Ich musste über einen Graben springen, um rechtzeitig zu meiner Vorlesung zu kommen. Auf der anschließenden Taxifahrt habe ich mich mit dem Taxifahrer über die strenger gewordene Stadtverkehrsüberwachung durch die „intelligenten“ Videokameras unterhalten. Aufgrund eines vor uns anbahnenden Staus habe ich dann kurzerhand über die Taxi-App die Fahrroute meines Taxifahrers unterwegs ändern können. Viele Improvisationsmöglichkeiten bleiben den Taxifahrern also in Peking heutzutage nicht mehr. Für mich gilt das glücklicherweise nicht. Ich werde regelmäßig mit neuen Dingen konfrontiert. Meine Dozentur hier lebt in vielerlei Hinsicht auch davon, dass ich mit neuen Angelegenheiten konstruktiv umgehe. Die sonstigen Unbequemlichkeiten im chinesischen Alltag werden zumeist dadurch überkompensiert, dass der chinesische Alltag hochdigitalisiert ist und die meisten Angelegenheiten äußerst bequem zu erledigen sind. Die positiven Seiten der Digitalisierung stehen bisher eindeutig im Vordergrund. Ich bin gespannt wie sich dieses Digitalisierungsmodell China in Bezug auf die Datennutzung weiterentwickeln wird.

  • Nun sind Sie also am CDIR tätig, das Sie als deutscher Vizedirektor maßgeblich mit prägen werden. Was sind Ihre Ziele und Vorhaben für die nächsten 5 Jahre?

Für das CDIR planen unser chinesischer Dekan, Herr Prof. Xie Libin, und ich in den meisten Angelegenheiten erstmal die Rückkehr zum Zustand „prä-Covid“. Während der Hochphase der Covid-Epidemie hat die Institutsarbeit und auch die Kooperation mit den deutschen Universitäten sehr gelitten und danach fehlte es am CDIR für ein paar Jahre an einem deutschen Vize-Direktor, bis ich Anfang des Jahres übernommen habe. Mittlerweile ist der Trend auf allen Ebenen positiv und ich freue mich hier zu sein. Ein neues Projekt von mir besteht u.a. in dem Aufbau eines Netzwerks des CDIR mit den anderen deutschen Rechtsprogrammen der Tongji-Universität in Shanghai und der Nanjing-University. Als weiteres Projekt haben wir außerdem die Optimierung des Deutschunterrichts am Institut auf den Plan gerufen. Die deutschen Sprachkenntnisse unserer Studierenden spielen meist nicht nur eine entscheidende Rolle für den Erfolg des LL.M.-Studiums in Deutschland, sondern im weiteren Sinne auch bei der allgemeinen Zugewandtheit zur deutschen Kultur und der weiteren Karriereplanung unserer Studierenden. Problematisch ist die beschränkte Lernzeitspanne der Studierenden an unserem Institut. Eine unserer Maßnahmen liegt nun schon einmal darin, dass wir den Deutschunterricht für die Erstsemester regelmäßig in einem inoffiziellen Online-Lehrangebot Monate vor dem Studienbeginn an der Universität starten. Für die nächsten Jahre möchten wir außerdem internationale Kooperationsprojekte mit anderen juristischen Fakultäten in Asien erproben.

Persönlich ist es mir ein Anliegen in den nächsten Jahren meine Promotion zu beenden.

  • Neben diesen langfristigen Zielen würde uns auch interessieren, wie Ihre tägliche Arbeit am Institut aussieht? Wie funktioniert die Abstimmung mit den chinesischen Kollegen und die Arbeit mit den chinesischen Studierenden?

Die tägliche Arbeit am Institut ist sehr vielseitig. Ich kümmere mich um meine eigenen Rechtsvorlesungen, um Kurzzeitdozenturen von Gastdozenten, regelmäßige akademische Veranstaltungen, den Deutschunterricht unserer Sprachlektoren, die Verwaltung unserer eigenen Institutsbibliothek sowie um die Kooperationsarbeit mit den deutschen Universitäten. Der größte Aufwand liegt definitiv in der Studierendenbetreuung und auch in der Vor- und Nacharbeit meiner Vorlesungen. Es ist eine große Herausforderung den chinesischen Studierenden, die zumeist im chinesischen Bachelorstudium Jura studiert haben, das deutsche Recht in deutscher Sprache vorzustellen. Der Kontakt mit dem engagierten chinesischen Institutsdirektor und den weiteren Mitarbeitern ist sehr zugewandt und offen. Bei meiner Einarbeitungszeit war ich trotzdem auf mich selbst gestellt. Die Zuständigkeiten der einzelnen Mitarbeiter, die Hierarchie sowie die Gepflogenheiten im Umgang mit Kollegen und Studierenden habe ich im wahrsten Sinne des Wortes durch ‚Learning by Doing‘ kennengelernt. Insgesamt finde ich den ständigen interkulturellen Kontakt am Arbeitsplatz sehr bereichernd. Mein Chinesisch ist flüssig und viele Kollegen können auch noch Deutsch oder Englisch sprechen. Trotzdem kommt es ab und zu zu Missverständnissen. Unvermeidlich ist, dass die Kommunikation und Zusammenarbeit beidseitig eines intensiveren Einsatzes bedürfen.

  • Haben Sie regelmäßig Kontakt mit den deutschen HS, die am CDIR beteiligt sind? Können diese dabei helfen, auch in Deutschland die Lust auf einen Studienaufenthalt in China zu wecken? Allgemein, was wären Ihre Empfehlungen dafür, die Wahrnehmung für und das Interesse an China-Aufenthalten zu vergrößern?

Der Kontakt zu den deutschen Hochschulen ist während der Bewerbungszeit unserer Studierenden zum LL.M.-Studium in Deutschland im Sommer am stärksten. Unsere Partneruniversitäten sind glücklicherweise sehr bemüht unsere Studierenden zu unterstützen und manche Kollegen nutzen den Kontakt zu uns erfreulicherweise auch, um die „Chinakompetenz“ ihrer Fakultät zu erweitern. Dieses Jahr konnten wir fast alle willigen Studierenden vom CDIR in den deutschen Partneruniversitäten unterbringen. In der Universität Hamburg befindet sich die Konsortialverwaltung unseres Kooperationsprogramms. Mit den Mitarbeitern und dem Programmleiter, Herrn Prof. Hinrich Julius, habe ich regelmäßig Kontakt. Zur Zeit suchen wir nach einem Kurzzeitdozenten zum Verfassungsrecht am CDIR für Anfang Dezember, wofür wir zunächst bei den Ansprechpartnern unserer Kooperationsuniversitäten anklopfen werden. Ich hoffe, in Zukunft weitere kleine Projekte mit den deutschen Universitäten ins Leben rufen zu können.

Aus deutscher Perspektive liegt das „Marketing“ für das Austauschstudium in Peking für die deutschen Jurastudierenden größtenteils in den Händen bzw. Mündern der jeweiligen Ansprechpartner unserer deutschen Kooperationsuniversitäten. Ich werde in diesem Zuge einen neuen Flyer erstellen und unsere Institutswebsite (https://cdir-institut.org/) updaten.

Das Studium in China ist für deutsche Studierende zweifellos exotisch und ungewöhnlich – und genau das ist einer unserer „selling points“. Doch unsere Universität hat noch mehr zu bieten: Die China University of Political Science and Law (CUPL) ist eine herausragende Plattform für Juristen. Sie zählt im Bereich der Rechtswissenschaften zu den Top 3 des Landes und belegt mit der Anzahl der Jurastudierenden den ersten Platz. Die Mehrheit der etwa 7.000 Master- und Promotionsstudierenden ist im Fach Rechtswissenschaften eingeschrieben.

Darüber hinaus bietet die CUPL eine Vielzahl spannender juristischer Vorlesungen und Veranstaltungen. An unserem Institut erhalten Sie beispielsweise die einmalige Gelegenheit, an einem sino-deutschen Verfassungsrechtsdialog teilzunehmen, bei dem sowohl zahlreiche chinesische Juraprofessoren als auch der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts, Herr Prof. Reinhard Gaier, mitwirken. Dieses Semester konnten sich fünf deutsche Austauschstudierende erfolgreich über unser Programm an der CUPL einschreiben. Wir arbeiten daran, unsere Strahlkraft und den Anreiz weiter auszubauen.

  • Was ist Ihr Eindruck von Ihren Studierenden ? Als Außenstehender stellt man es sich sehr kompliziert vor, in der komplizierten deutschen Sprache das komplizierte deutsche Recht zu studieren. Stimmt der Eindruck ?

Von dem Einsatz und der Neugierde unserer Studierenden bin ich insgesamt sehr beeindruckt. Die deutsche Rechtswissenschaft lebt von der genauen deutschen Sprache. Die Gesetzessprache, der juristische Gutachtenstil und die Rechtsterminologie sind Herausforderungen für sich. Sogar die deutschen Jurastudierenden tun sich schwer den Gesetzestext gründlich zu lesen und den Gutachtenstil einzuhalten. Die chinesischen Studierenden nutzen regelmäßig neben den von uns bereitgestellten deutschen Gesetzesbüchern übersetzte Versionen, soweit diese erhältlich sind. Ich lege großen Wert darauf, bei neuen Rechtsthemen die entsprechenden chinesischen Rechtsbegriffe einzubeziehen, um das Verständnis zu erleichtern. Dennoch erfordert der Lernprozess von den Studierenden einen hohen Arbeitseinsatz. Gerade aufgrund dieser intensiven Auseinandersetzung gelingt es vielen, ein stabiles Grundverständnis und häufig auch eine Affinität für die jeweilige Rechtsmaterie zu entwickeln.

Was langfristig jedoch noch entscheidender ist: Die Studierenden lernen nicht nur wie, sondern auch dass sie sich neue und komplexe Inhalte durch beharrliches, problemorientiertes Arbeiten aneignen können. Die zwei Jahre im Programm an unserem Institut, die auch Vorlesungen von chinesischen Rechtsdozenten und die Anfertigung einer chinesischen Masterarbeit umfassen, sind anspruchsvoll und fordernd. Trotz dieser Herausforderungen schaffen es etwa 75 % jedes Jahrgangs, am Ende das LL.M.-Masterstudium in Deutschland zu beginnen, für das sie eine monatliche Stipendienrate vom DAAD erhalten.

Unser Alumni-Netzwerk ist sehr aktiv, und wir freuen uns über jeden neu hinzugewonnenen Absolventen. Ende September 2024 planen wir ein Alumni-Treffen mit Teilnehmern aus unserer deutschen Kooperation, bei dem wir im Rahmen eines Symposiums die Juristenausbildung im digitalen Zeitalter diskutieren werden.

  • Abseits der Arbeit, wie gefällt Ihnen das Leben hier in der Hauptstadt ? Sie waren ja zu unterschiedlichen Zeiten immer mal wieder wohnhaft in China. Wie nehmen Sie die Entwicklung der letzten Jahre wahr?

Das Leben in Peking bietet den ausländischen Gästen die Wahl zwischen Expat-Blase und dem authentischen chinesischen Lebensmodell. In den letzten Jahren habe ich vielerlei Entwicklungen wahrgenommen. Neben den positiven Veränderungen wie dem Ausbau der Infrastruktur, der Grünflächen und der Erweiterung des kulturellen Angebots sind auch die steigenden Wohnkosten, die steigende Zahl von Arbeitssuchenden vom Land und die umfassenderen staatlichen Kontrollmaßnahmen spürbar.

  • Trotz Ihres hohen Arbeitspensums, hatten Sie schon Gelegenheit, das Land abseits der Metropolen Peking und Shanghai zu erkunden? Irgendwelche Geheimtipps für künftige deutsche Chinareisende?

Die Stadt Chongqing ist sehr lebendig und spiegelt das typische chinesische Lebensgefühl wider. Insgesamt finde ich es in China fast überall spannend – jedenfalls dort, wo auch Chinesen sind.

Weitere Infos u.a. hier: https://cdir-institut.org/ueber-das-institut/

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