Sprache und Praxis vor Ort
Warum hast du dich für das Förderstipendium „Sprache und Praxis“ entschieden? Warum China?
Ich hatte vor meinem Aufenthalt kaum Bezug zu China oder den anderen Ländern der Region. Durch Zufall habe ich dann aber an einem Projekt namens „CHIN-KoBe“ teilnehmen dürfen. Die Veranstaltungen dort haben mein aus Medienberichten und Erzählungen zusammengesetztes Bild von China kurzerhand komplett auf den Kopf gestellt und mir gleichzeitig viel neuen Input gegeben. Danach stand für mich fest, dass ich eigentlich überhaupt Nichts über China weiß und dass ich genau deshalb unbedingt hierher will, um mir selbst ein Bild zu machen. Durch das „Sprache und Praxis“-Programm bekomme ich neben der Möglichkeit, Chinesisch zu studieren und ein Praktikum zu machen, die Gelegenheit, das Land über 16 Monate umfassend kennen zu lernen, alle meine Fragen loszuwerden und meine Eindrücke dann wiederum weiter in die Welt zu tragen. Schon nach wenigen Wochen habe ich gemerkt, wie viele Leute in meinem Umfeld von meinen Schilderungen verwundert sind, weil sie sich – genau wie ich damals – China ganz anders vorstellen.
Das Förderprogramm beginnt mit einem intensiven Sprachkurs: Wie läuft dieser Sprachkurs vor Ort ab? Was findest du besonders spannend und herausfordernd?
Die ersten zehn Monate studiert man an der Beijing Foreign Studies University (kurz: BeiWai) in Peking. Zu Beginn des Semesterstarts werden alle Studierenden auf ihr individuelles Chinesisch-Niveau getestet. Im ersten Teil muss man in einem Test am PC Pinyin und Töne für diverse Hanzi angeben. Im zweiten Teil spricht man dann mit Lehrkräften. Darauf basierend wird man in die verschiedenen Sprachkurs-Level gesteckt. Das chinesische Uni-System ist an der BeiWai sehr verschult und starr: Es gibt einen festen Stundenplan mit genereller Anwesenheitspflicht. Alle Studierenden müssen die Hanzi handschriftlich schreiben lernen, was in wöchentlichen Diktaten abgeprüft wird. Individuellen Lernzielen wird wenig Beachtung geschenkt. Auf meinem Chinesisch-Level gab es Schreib-, Sprach- und Pinyinkurse. So kommt man auf ungefähr vier Zeitstunden Chinesisch pro Tag plus Vor- und Nachbereitung. Dieses System war für mich, da ich während meines Studiums in Deutschland sehr selbstbestimmt arbeiten konnte, die größte Umstellung.
S&P-Stipendiatin Katja LentzSchon nach wenigen Wochen habe ich gemerkt, wie viele Leute in meinem Umfeld von meinen Schilderungen verwundert sind, weil sie sich – genau wie ich damals – China ganz anders vorstellen.
Welche Tipps hast du für das Erlernen der chinesischen Sprache?
Je nachdem, auf was man den Fokus legt, sollte man das auch weiterverfolgen. Persönlich wollte ich in dem Jahr eine Grundlage im Lesen und Sprechen legen. Das handschriftliche Schreiben ist mir nicht so wichtig, weil ich schon im Deutschen kaum noch Notizen auf Papier mache. Leider ist der Unterricht in der Uni dabei nicht so hilfreich, wie ich gedacht hatte. Das im Land sein motiviert mich aber umso mehr. Ich kann ja einfach vor die Tür gehen und direkt Chinesisch reden. Als 外国人 (waiguoren = Auslandsmensch) ist die Bereitschaft und generelle Neugier der Leute meist auch recht groß. Deshalb würde ich raten, wenig Hemmschwellen zu haben, einfach drauf loszureden und auf Leute zuzugehen, auch in der Uni. Und wenn es gar nicht geht, gibt es neben Händen und Füßen ja immer noch Apps, die beim Übersetzen helfen.
Welche Tipps hast du für künftige Stipendiaten, die sich für das Programm entscheiden sollten?
Versucht, so viel von den Angeboten, die euch der DAAD anbietet, mitzunehmen und geht aktiv mit eigenen Vorschlägen auf die Programmkoordination zu. Das Begleitprogramm ist quasi das Herzstück des gesamten Stipendiums. Es soll euch dabei helfen, China aus verschiedensten Blickwinkeln zu verstehen, also gestaltet es auch nach euren eigenen, unterschiedlichen Interessen! Wir haben uns als Gruppe trotz unserer Unterschiede gut verstanden, sind schnell zusammengewachsen und haben deshalb auch viel gemeinsam unternommen, was ich euch ebenfalls nur empfehlen kann. Und: China ist nicht nur Peking. In den 16 Monaten habt ihr deshalb genug Zeit (und durch die Stipendienrate auch genug Geld), um das Land zu bereisen, was ich euch ganz stark ans Herz lege, eben weil es so unheimlich divers, vielschichtig und spannend ist. Guckt euch da vor allem auch die ländlicheren Regionen an, um den Stadt-Land-Vergleich zu sehen!
Katja Lentz, S&P-StipendiatinDeshalb würde ich raten, wenig Hemmschwellen zu haben, einfach drauf loszureden und auf Leute zuzugehen, auch in der Uni. Und wenn es gar nicht geht, gibt es neben Händen und Füßen ja immer noch Apps, die beim Übersetzen helfen.
Zum Abschluss: Welches Erlebnis in China war für dich am einprägsamsten?
Ein konkretes Erlebnis kann ich nicht direkt benennen. Dafür gab es zu viele. Am Anfang haben mich die Dimensionen Pekings und die Größe des ganzen Landes aber ziemlich erschlagen. Auch hatte ich nicht geglaubt, dass Papier-Bürokratie irgendwo noch schlimmer sein könnte als in Deutschland. Gleichzeitig lassen sich dann aber auch oft viele offizielle Fristen und Anforderungen zurechtbiegen. Das war für mich ein großer Widerspruch zu meiner damaligen Vorstellung vom „durchorganisierten China“.
Langfristig sind mir aber vor allem die vielen Begegnungen mit Chines*Innen im Kopf geblieben. Besonders die Offenheit und Ehrlichkeit der jüngeren Generation in persönlichen Gesprächen hat mich dabei sehr überrascht. Und nein, der allbekannte Leistungsdruck in China ist und war dabei bei Weitem nicht das einzige Thema. Bereits nach vier Monaten hier trifft es die Bezeichnung der „hoffnungslosen Generation“ für mich leider ziemlich gut.
Das Interview mit Katja Lentz führte Max Paul Greve-Gao
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Sprache und Praxis in der VR China