"Bin ich jetzt im Kurs oder nicht?"
Steckbrief
“Auf meiner Reise nach dem Abitur habe ich versucht, möglichst viele verschiedene Orte innerhalb Chinas zu besichtigen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wo es mir – wenn auch zunächst sehr oberflächlich – am besten gefällt. Der Westen Chinas interessiert mich dabei sehr – vor dem Studium v.a. landschaftlich: Hier stehe ich etwa 2km vom Grenztor zu Pakistan entfernt, am Kunjirap-Pass, auf knapp 4.700 Metern Höhe. Ringsum nur Fünf-, Sechs- und Siebentausender! Da man zum Zeitpunkt meiner Reise (2017/2018) ein Touristenvisum für maximal 60 Tage beantragen konnte, habe ich von Sichuan wenig gesehen: Chengdu besuchte ich nur zwei Tage! Dabei hatte ich bei meiner Reiseplanung vorgesehen, in Sichuan die meiste Zeit meines China-Aufenthalts zu verbringen – daraus wurde jedoch nichts. Auch aufgrund dieses Versäumnisses, v.a. aber wegen der ethnischen und landschaftlichen Vielfalt der Provinz, habe ich mich dazu entschieden in Sichuan zu studieren. Die wirtschaftliche und politische Bedeutung Chengdus kam während meines Studiums in Köln noch als Grund dazu.”
Name | Lorenzo Pastura |
Universität in Deutschland | Universität zu Köln |
Hauptfach | China-Studien |
Angestrebter Abschluss | B.A., Regionalstudien China |
Universität in China | Sichuan-Universität |
Hauptfach | chinesische Kultur, v.a. Sprache |
Chinesisch-Sprachniveau |
HSK 5 (nach HSK-Ordnung 2.0) |
Karriere-Erwartungen | 1. Master nach Bachelorabschluss 2. a) Fortsetzung des akademischen Weges, um „China-Experte“ und -Forscher zu werden oder b) Ausbildung beim Auswärtigen Amt abschließen, um später in der Diplomatie tätig zu sein oder c) als China- und Politik-Kenner in Deutschland aktiv Politik mitgestalten oder d) sich nach dem Masterabschluss selbstständig machen und deutsche und chinesische Unternehmen beraten e) weitere Möglichkeiten finden und neue Wege gehe |
Interview
Was waren die Beweggründe für Dich, nach China zu gehen? Hattest Du bereits Chinesisch gelernt?
Für Nordostasien interessiere ich mich schon seit meinen frühen Teenagerjahren. Das gesonderte Interesse für China kam jedoch erst bei der Planung meiner Reise durch einige Staaten Ostasiens, nach dem Abitur, zustande, v.a. aber natürlich während der Reise selbst: Da habe ich mich sehr in dieses Land „verliebt“ und auch die Entscheidung getroffen, etwas stark China-Bezogenes zu studieren. Auch wollte ich während meines Studiums mindestens ein Jahr in China verbringen.
Insofern habe ich vor Antritt meines Online-Studiums an der Sichuan-Universität schon vier Semester an der Universität zu Köln Chinesisch gelernt. An der Sichuan-Universität lerne ich weiterhin sehr intensiv die Sprache.
Die eigentliche Aufnahme an der Sichuan-Universität verlief etwas abrupt, aber sehr freundlich: Im Grunde genommen lernte man die anderen Studierenden und die DozentInnen erst kurz vor Vorlesungsbeginn kennen – per Gruppenchat. Gesehen hat man sich dann das allererste Mal im Unterricht – per Videoübertragung. Jedoch waren und sind die Dozenten und Dozentinnen alle sehr freundlich und hilfsbereit; sie antworten einem beinahe rund um die Uhr! Die Studierenden sind sehr freundlich und wir kommen gut miteinander aus.
Wie funktionierte die Organisation des Online Studiums?
Aufgrund der schwierigen Einreise für ausländische Studierende, fand und findet das „Auslandsjahr“ bisher leider nur online, d.h. also nicht in China, sondern daheim, statt.
Die Organisation des online-Studiums war anfangs etwas schwierig und chaotisch, da die COVID-19-Pandemie das Universitätsleben etwas durcheinandergebracht hat. Zudem habe ich das DAAD-Stipendium und das zusätzliche CSC-Stipendium (ein chinesisches Regierungsstipendium) zeitlich um ein Semester nach hinten verschoben, wobei zwischendurch nicht immer klar war, ob, bzw. inwiefern das möglich sein würde. Der Austausch mit der Sichuan-Universität war bis zum Vorlesungsbeginn leider sehr rar und ich war mir nie sicher, ob die Aussagen verbindlich waren, die man per WeChat oder auch per E-Mail erhielt.
Lorenzo Pastura über die Kurswahl an der Sichuan UniversitätMein Tipp: Man muss vor Vorlesungsbeginn und während der ersten Wochen proaktiv handeln und sichergehen, alles Wichtige notiert zu haben! Ab der zweiten Woche sind i.d.R. keine Kurswechsel mehr möglich.
Letztendlich hat alles geklappt! Die Kommunikation mit den Dozierenden verlief dabei weitaus zuverlässiger als die mit der Verwaltung der Sichuan-Universität – was teilweise nachvollziehbar ist, da es in der Verwaltung vermutlich weniger Personal und gleichzeitig viel mehr Anfragen gibt, als es bei den Lehrkräften der Fall ist.
Die erste Woche war etwas stressig: Es galt, die richtigen WeChat-Gruppen der einzelnen Kurse sowie die richtigen Ansprechpartner und- partnerinnen zu finden, sicherzugehen, alle wichtigen Informationen zu erhalten und v.a. die sich ständig ändernden Kurszeiten in seinem persönlichen Stundenplan immer wieder zu aktualisieren, auf neue Informationen sofort zu reagieren und auf mögliche Probleme sofort hinzuweisen. Der Stundenplan wurde mehrmals geändert, weil sich die Studierenden in diversen Zeitzonen befanden. Kompromisse bei der Planung konnten sehr schnell und ohne Schwierigkeiten gefunden werden, sodass der Stundenplan schlussendlich für alle akzeptabel war.
Die Kurswahl obliegt keiner offiziellen Anmeldung – was mich anfangs etwas verunsichert hat: „Bin ich jetzt in dem Kurs oder nicht?“ –, sondern erfolgt in den meisten Fällen einfach dadurch, dass man regelmäßig erscheint und sich in der entsprechenden WeChat-Gruppe befindet. Zum Sprachniveau: Auf Anfrage erhielt ich einen Link zu einem Sprachtest inkl. Niveaueinstufung. Auf Basis dessen wird eine Schwierigkeits-Stufe empfohlen, innerhalb derer man verschiedene Kurse wählen kann. Dieser Empfehlung muss man nicht folgen.
Sind zurzeit alle Kurse online? Wenn ja, welche Tools werden benötigt?
Derzeit werden alle Kurse für ausländische Studierende online angeboten, man wird in manchen Fällen dem chinesischen Kurs live zugeschaltet. Ob das Online-Kursangebot gegenüber dem „normalen“ Kursangebot tatsächlich etwas verkleinert wurde, kann ich nicht beurteilen. Allerdings tauchen einige nicht in den aktuellen Kursplänen auf. Das hätte bei einem „normalen“ Auslandsaufenthalt aber auch der Fall sein können, da im Vorfeld manchmal schwer ersichtlich ist, welche Kurse man als „Gaststudierender oder -studierende“ letztendlich wählen kann.
Die Koordination und Kommunikation läuft bei mir fast ausschließlich über WeChat und weniger per E-Mail ab. Von anderen Studierenden weiß ich, dass auch WeChat Work verwendet wird.
Der Unterricht findet in meinem Fall ausschließlich auf VooV, der „internationalen Version“ von Tencent Meeting, statt. Von anderen Studierenden weiß ich, dass auch hier WeChat Work genutzt wird. Was genau für welchen Kurs verwendet wird, liegt in Händen der jeweiligen Dozierenden und wird kurz vor Vorlesungsbeginn mitgeteilt.
Bitte beschreibe deinen Tagesablauf. Wie unterscheidet sich das Studium in China vom Studium in Deutschland?
Meinen Tag beginne ich montags bis inkl. donnerstags um acht Uhr morgens vor dem Laptop – hört sich so formuliert nicht sehr schön an, kann aber Spaß machen! Kurz vor Unterrichtsbeginn erhalten wir per WeChat einen aktuellen Link, der uns zum VooV-Unterricht führt. Der Unterricht beginnt häufig mit der Frage, ob alle Studierenden die Dozentin oder den Dozenten hören können. Dann geht´s los: Alle Kurse dauern jeweils anderthalb Stunden. Arbeitsmaterialien sind kostenlose Bücher in PDF-Form, Präsentationen einzelner Sitzungen in PDF-Form und manchmal auch kurze Videos (letzteres eher für Hausaufgaben). In meinem Fall ist der Stundenplan relativ kompakt; langes Sitzen und langes Starren auf Bildschirme bedarf definitiv einem Ausgleich! Die Kurse sind meist am frühen Nachmittag beendet und danach esse ich zu Mittag oder mache noch ein wenig Sport. Nach dem Mittagessen gehe ich spazieren und setzte mich dann wieder an den Schreibtisch, um die Hausaufgaben zu erledigen. Freitags bis inkl. sonntags habe ich zwar keinen Unterricht, nutze die Zeit an diesen Tagen dafür aber zum Lernen.
Abgesehen von Unterricht, Lernen, Essen, Bewegen, Schlafen und Lesen sind andere Aktivitäten rar: Zum Austausch mit anderen Studierenden kommt man selten – selbst bei einer offenen und proaktiven Herangehensweise, denn die Zeitzonen variieren und die Kurse sind klein.
DAAD-Stipendiat Lorenzo Pastura über den Online-StudienalltagAbgesehen von Unterricht, Lernen, Essen, Bewegen, Schlafen und Lesen sind andere Aktivitäten rar: Zum Austausch mit anderen Studierenden kommt man selten – selbst bei einer offenen und proaktiven Herangehensweise, denn die Zeitzonen variieren und die Kurse sind klein.
Dabei ist die Schwierigkeit, dass man nur das Aussehen und die Stimme von jemanden kennt – manchmal sogar lediglich die Stimme. Zwar lassen sich Kontakte einfach knüpfen, gemeinsame Interessen schnell finden und Sympathien feststellen, aber die Intensivierung des Kontakts stößt zwangsläufig an seine Grenzen.
Es lassen sich einige grundsätzliche und Pandemie-unabhängige Unterschiede zwischen dem Studium an der deutschen und an der chinesischen Hochschule feststellen:
Zum einen ist da die Anwesenheitspflicht: An der deutschen Hochschule gilt sie für mich derzeit nicht. An der Sichuan-Universität gilt der Kurs als nicht bestanden, wenn man zu einer bestimmten Anzahl an Sitzungen entweder nicht anwesend oder über 15 Minuten zu spät gekommen ist.
Zum zweiten sind da die Pausen: An der deutschen Hochschule habe ich bisher an keinem Kurs teilgenommen, bei dem es nach 45 Minuten eine fünf- bis zehnminütige Pause gab. An der Sichuan-Universität scheint das vorgeschrieben zu sein. Diese Pausen halte ich für sehr gut. Zudem sind sie gerade bei einem online-Studium gut nutzbar: Hier kann man einfach Kamera und Ton ausschalten, den Laptop zuklappen und sich ein bisschen bewegen usw.
Drittens gibt es noch die Feiertage: In China werden versäumte Unterrichtsstunden oft nachgeholt. Einerseits finde ich es sinnvoll, dass man mit dem Kursplan einfach weitermacht und somit nichts entfällt und das Programm damit insgesamt nicht verkürzt wird. Auf diese Weise lernt man nämlich auch mehr. Andererseits stellt sich hier schon die Frage nach der Bedeutung eines Feiertags.
Ein weiterer Unterschied ist, dass es an der deutschen Hochschule keine Hausaufgaben gibt und in China schon. An der Universität zu Köln gibt es zwar auch Leistungsnachweise, jedoch bestehen sie in anderer Form. Die Hausaufgaben an der chinesischen Hochschule ähneln denen in der Schulzeit: Es gibt sie in jedem Kurs, sie werden fast jeden Tag aufgegeben und sie dienen i.d.R. der Verfestigung des im Unterricht Erlernten. Manchmal sind Hausaufgaben zusätzlich zu den eigenen Wiederholungen etwas lästig. Die Sinnhaftigkeit von Hausaufgaben kann ich aber trotzdem nachvollziehen: Gerade, wenn man eine Sprache lernt, braucht es einfach das regelmäßige Üben. Und manchmal bin ich mir um die Effektivität meiner persönlichen Lernmethode nicht so sicher; da sind Hausaufgaben sozusagen „einfacher“.
Ein letzter nennenswerter Unterschied ist die Intensität des Sprachunterrichts: An der deutschen Hochschule sprechen sowohl Dozierende als auch die Studierenden doch oft Deutsch. In den Kursen der chinesischen Hochschule ist das nicht der Fall: Selbst, wenn die meisten gut Englisch können, ist Chinesisch hier die lingua franca – und dies führt zu größeren Fortschritten!
Planst Du, das Masterstudium ebenfalls in China zu absolvieren?
Das ist eine gute Frage! Ich möchte auf jeden Fall ein Masterstudium absolvieren. Allerdings ist es eigentlich mein Vorhaben, etwas anderes zu studieren als China-Studien, damit ich mich noch weiter spezialisieren kann. Ich interessiere mich zwar sehr für Wissenschaft, also besonders für die Methodik des wissenschaftlichen Arbeitens, aber auch für Politik, Diplomatie oder Unternehmensberatung (z.B. Beratung von deutschen und chinesischen Unternehmen, die anstreben, ihre Beziehungen aufzubauen oder zu intensivieren). Andererseits möchte ich meine Chinesisch-Kenntnisse parallel nicht nur beibehalten, sondern stetig verbessern. Insofern wäre es für mich sinnvoll, etwas in Richtung Internationale Beziehungen oder Public Administration zu studieren, und das in einem Land, in dem viele Menschen Chinesisch sprechen.
Ob das China sein wird, weiß ich noch nicht, denn meine Entscheidung hängt nicht nur von der Studienfinanzierung, sondern auch vom wissenschaftlichen Niveau und den internationalen Anerkennungsmöglichkeiten des Abschlusses ab. Theoretisch könnte ich (mit Stipendien) auch in Singapur studieren, doch damit habe ich mich noch nicht genau beschäftigt, da ich mir bei meiner Studiengang-Wahl noch nicht sicher bin. Falls ich meinen Master nicht in China antreten sollte, werde ich versuchen innerhalb meines Master-Studiengangs ein “echtes” Auslandsjahr in China zu absolvieren.
Marie Adams sprach mit Lorenzo Pastura